Das letzte Wort


Seit Juli 2018 schreibt Arnd Rühlmann als Kolumnist für das Bamberger Monatsmagazin "Fränkische Nacht".


Hier finden Sie das Archiv einiger seiner "letzten Worte".

 

 

Toleranzgrenze in Sachen Traumzerplatzen
Ausblick auf 2021

Ich kann mich nicht erinnern, ob ich dieses T-Shirt seit 3 oder seit 5 Tagen anhabe. Der Pizzafleck auf der Brust kann jedenfalls nur von Dienstag sein. Die Jogginghose müsste schon seit letzter Woche dringend mal wieder in die Wäsche.
Bevor Sie jetzt beim Lesen angewidert das Gesicht verziehen, bedenken Sie bitte, dass ein wohlplatziertes Maß an Heruntergekommenheit und Vernachlässigung bei mir äußerst charmant und sehr professionell zur Geltung kommen - ich bin schließlich Künstler.
Für uns Angehörige einer Berufsgruppe, von der der Volksmund sicher ist, der Applaus sei ihr Brot, ist ein gewisses Maß an Verwahrlosung nicht nur eine Option sonder fast schon ein stylisches Accessoire, quasi das künstlerische Must-Have der Saison! Bühnentechnikerinnen oder Dramaturgen leiden zwar ebenso unter dem Berufsverbot, erfahren aber zwangsläufig weniger solidarische Zuwendung, da man ihnen unterstellen muss, dass sie schon vor Pandemiebeginn für ihre Arbeit angemessen bezahlt werden wollten.
Nun hat Applaus als Nahrungsmittel allerdings den unschlagbaren Vorteil, dass er von Natur aus kalorienarm ist. Im offensichtlichen Gegensatz zu allem, was ich mir in den vergangenen Monaten auf dem heimischen Sofa einverleibt habe.
Als ich dieser Tage wegen der verschärften Maskenpflicht meinen Bart FFP2-konform zurechtschnitt, wurde mit einem Mal sichtbar, dass ich unter der Gesichtsbehaarung einige veritable Doppelkinne herangezüchtet hatte. Wenn mein Freund mich jetzt verlässt, mache ich Söder persönlich dafür verantwortlich.
Außerdem sollte ich beizeiten darüber nachdenken, für den Fall, dass wir unser Theater irgendwann wieder öffnen können, Spielplan und Rollenauswahl entsprechend anzupassen. Wer zu fett für die „Wanderhure“ ist, muss eben die „Wanderdüne“ geben. Aktuell arbeite ich an einer Ein-Personen-Musical-Adaption von „Free Willy“, erzählt aus der Perspektive des Killerwals.
Ach ja, die Wiedereröffnung. Im kommenden Oktober hat unser nana theater im Club Kaulberg sein 10jähriges Bestehen, falls wir bis dahin bestehen. Manchmal träume ich heimlich davon, was man da alles veranstalten könnte. Auch wenn ich mir das offiziell verbiete, denn allein in den vergangenen 6 Monaten sind so viele Ideen und Planungen über die Regnitz gegangen, dass meine persönliche Toleranzgrenze in Sachen Traumzerplatzen längst überschritten ist. Und man traut sich ja schon gar nicht mehr, die wundervollen und heiß vermissten Kolleg:innen von der Couch aufzuscheuchen, nur um ein paar Wochen später ein weiteres Projekt auf Eis zu legen. Aber trotzdem: Aufgeben ist nicht. Irgendwann wird es weitergehen, wie auch immer das dann aussieht. Ein bisschen träumen darf man ja bis dahin. Und ich sollte echt diese Jogginghose mal wieder waschen …

 

(Januar 2021, erschienen im Bamberger Theatermagazin "Zugabe")

Was vom Jahre übrig blieb
Die schönen Seiten von 2020

Wenn ich das vergangene Jahr Revue passieren lasse, stellt sich mir unwillkürlich die Frage, ob 2020 wohl in Zukunft mit den gleichen Worten schöngeredet wird, mit denen meine Großeltern früher immer die Hitlerzeit verharmlosten: „Es war ja net alles schlecht!“

Denn bei aller angemessenen Existenzangst durch Gehaltseinbußen, Isolation und Infektionszahlen gibt es zugegebenermaßen einige durchaus begrüßenswerte Aspekte unserer unschönen neuen Covid-Welt:
Umweltorganisationen vermelden erfreuliche Verbesserungen der Luft- und Wasserqualität weltweit, 49% der Deutschen empfinden die Entschleunigung als angenehm,
und im ZDF wird es keine neue „Helene Fischer Show“ geben. Überhaupt ist es doch schon mal grundsätzlich so, dass wir alle fast täglich Gesichtern begegnen, die ästhetisch ein Stück gewinnen, wenn man zumindest Mund und Nase nicht mehr sieht.

Und auch wenn Bamberg mit der brutalen, bedenkenlosen Kürzung des Kulturetats viral für beschämende Schlagzeilen sorgte, hat doch auch die Welterbestadt von einigen der pandemischen Folgeerscheinungen durchaus profitiert.

Das Kunstfenster im Bürgerlabor in der Hauptwachstraße ist beispielsweise eine schöne Idee, auf die möglicherweise ohne Corona in der Concordia niemand gekommen wäre. Und die Bühne an der Erba-Spitze zu reaktivieren, war für Künstler:innen und Pulbikum eine wirklich lohnende Aktion des Kulturamtes.
Anrainer von Maxplatz und Gabelmoo hingegen dürften dank forcierter Festivalfreiheit einen vergleichsweise entspannten und ungestörten Sommer verlebt haben, und bei der allgemeinen Eventlosigkeit geriet schnell in Vergessenheit, dass man das Canalissimo bereits im letzten Jahr kaputtgeregelt hatte.
Auch die Bewohner der Oberen Sandstraße haben vermutlich noch nie so viele Nächte am Stück ohne Ohropax durchgeschlafen wie in den vergangenen Wochen. Mal abgesehen von denen, die die plötzliche nächtliche Totenstille schnurstracks in die Zwangsjacke getrieben hat.

Und darüber, dass heuer in Kitas, Schulen und Kindergottesdiensten das alljährliche Krippenspiel entfallen muss, könnten ebenfalls einige ein Tränchen der Erleichterung vergießen.
Für die Eltern mag eine solch gottgefällige Geburtsdarbietung ja ein Heidenspaß sein, da ist die Niedlichfindung des Nachwuchses ja genetisch verankert. Wenn der eigene Sprössling als König oder Schaf vor versammelter Gemeinde in der Nase bohrt, lässt sich das Vorzeigen der Fotos spätestens während der Pubertät auch als erpresserische Erziehungsmaßnahme einsetzen.
Als Onkel, Tante, Nachbar oder ähnlich Zwangsverpflichtete:r kann man das kindliche, liebevoll-dilettantische Heruntergestammel von Zeilen des Lukasevangeliums jedoch eigentlich nur genießen, wenn man im vorvesperlichen Glühwein nicht nur einen Schuß Rum sondern am Besten auch noch ein bis zwei Valium versteckt hatte.

Und a propos Familie: Für manche Mitmenschen ist es ja in diesem Jahr das eigentliche Weihnachtswunder, endlich die ultimative Ausrede zu haben, sich den Feiertagsbesuch bei Eltern oder Schwiegereltern ersparen zu dürfen. Auch Tante Elvira im Pflegeheim und Cousin Manfred in der Entzugsklinik lassen sich diesmal hemmungslos am Telefon abfertigen. Wer nicht glauben will, dass die adventliche Anverwandtenabsenz für viele Zeitgenoss:innen tatsächlich ein Grund zur Freude ist, ignoriert dabei schlichtweg die Erkenntnis der letzten 9 Monate, wie viele mitgefühlsarme Ich-Menschen es doch so im Volk gibt.

Für uns andere wird es um die Feiertage bestimmt auch ein paar traurige Momente geben, weil etwas fehlt; vielleicht eine Umarmung, ein Streicheln, ein Kuss. Das fröhliche Anstoßen mit völlig Fremden beim Silvesterfeuerwerk auf der Markusbrücke. Aber es bleibt die Hoffnung, dass diese Drecksau von einem Jahr wenigstens bald ausgedient hat, und dass der Volksmund, diese besserwisserische Spaßbremse, zumindest dies eine Mal nicht recht hat, wenn er behauptet: Es kommt nix besser nach.


 

(Dezember 2020, erschienen im Bamberger "Sandblatt")

Danke, lieber Stadtrat!
Bambergs Kulturszene gerettet

Ich schimpfe ja oft über unsere Bamberger Politiker:innen. Meistens zurecht. Ob nun Starke und Stieringer ohne Maske kuscheln oder Glüsenkamp bei einer Werbeveranstaltung für den grünen Pöbelrassisten Boris Palmer auftritt, zu nörgeln gibt es immer irgendwas.
Doch man muss auch mal loben können. Und Ehre, wem Ehre gebührt: Ich bin der festen Überzeugung, wenn Sie dieses Heft in Händen halten, hat der Stadtrat den endgültigen Gang vor die Hunde der Bamberger Kulturszene heroisch verhindert.
Denn während die Bühnenschaffenden bei roter Corona-Ampel von Panik geschüttelt werden, weil sicher als erstes wieder die Veranstaltungsbranche dran glauben muss - obwohl sich nachweislich noch nie jemand bei einem Theaterbesuch angesteckt hat - berichten die Medien, dass unser Stadtkämmerer Bertram Felix keine andere Lösung sieht, als das durch pandemische Probleme entstandene Milliardenloch im Verwaltungshaushalt ausgerechnet durch Kürzung des Kulturetats um 25% zu stopfen.
Aber von wegen! - Das wird mit dem Traumstadtrat nicht zu machen sein! Diese Vorschläge wird man dort nonchalant abschmettern, mit höhnischem Lachen in der Luft zerreißen und so den Tod der Theater-, Musik- und Kleinkunstszene in dieser lebendigen Stadt heldenhaft verhindern!
Und dafür möchte ich heute Danke sagen. Für Courage, Menschlichkeit und Weitblick. Vielen, vielen Dank. Auch im Namen meiner Eltern.

Eben wurde ich vom Chef angesprochen, der meinte, ich solle etwas vorsichtiger sein mit meinen Vorschusslorbeeren. Schließlich würde ja erst nach Redaktionsschluss im Finanzsenat über die Kürzungen entschieden, und da wäre es schon möglich, dass …
Ach was!
Unsere Stadträt:innen haben parteiübergreifend vor den Wahlen lautstark erkannt, dass für die freie Kultur in Bamberg viel zu wenig Geld zur Verfügung gestellt wird. Und dass das Geld jetzt mehr gebraucht wird denn je, weil Existenzen auf dem Spiel stehen, ist doch allen klar. Sonst könnten Projekte wie Kontakt oder das Kindertheater Chapeau Claque ihre bedeutenden Beiträge zum aktiven Weltkulturerbe ja gar nicht mehr leisten.
Da spielt unser Stadtrat nicht mit! Die stellen sich ritterlich vor die Kulturschaffenden! Allein schon weil ihnen klar ist, dass die von Landes- und Bundesregierung in den vergangenen Monaten trotz vollmundiger Versprechungen schmählich im Stich gelassen wurden. Den meisten wurde am Ende ja doch nur geraten, die sogenannte „Künstler-Grundsicherung“ in Anspruch zu nehmen, was bloß ein hübscher Deckname für Hartz IV mit all seinen Nebenwirkungen ist. (Ein Furunkel bleibt ein eitriges Geschwür, auch wenn der Arzt es liebevoll „Hautblüte“ nennt.)
Deswegen: Danke! Ich bin mir sicher, diesmal können wir uns auf unsere Volksvertreter:innen verlassen!

(Leise tönt ein Echo aus dem leeren Geldbeutel: „Verlassen … verlassen …“)

 

(November 2020)

Obazis im Schritt
Wenn Werbung wirr wird

Ich halte mich nicht unbedingt für konservativ, trotzdem ertappe ich mich mitunter dabei, dass es Dinge gibt, die ich früher besser, einfacher und einfach besser fand. Werbung zum Beispiel. 
In meiner Jugend war alles hübsch eindeutig. Stets blieb eine einzige Kirschpraline übrig, und die Waschmaschine hatte immer Kalk kaputtgemacht.
Heute bin ich bei vielen Spots oft genug nicht sicher: Wirbt dieses Muskvideo nun für deutsche Autos, skandinavische Möbel, amerikanisches Fast Food oder ein Mittel gegen Scheidentrockenheit?
Ebenso verwirrt mich die TV-Werbung einer Ahnenforschungsfirma, die mit den Worten beginnt: „Jede Familie hat ihre Geheimnisse …“ Das ist wahr, und in den meisten deutschen Familien gibt es ja auch gute Gründe für den diskreten Umgang mit dem Lebenslauf der Groß- und Urgroßeltern. In den seltensten Fällen dürfte es doch freudige Überraschungen geben, wenn man online enthüllt, was Oma und Opa so in den 30er Jahren getrieben haben.
Auch die Außenwerbung an den Bushaltestellen, von „Gas, Wasser, Schießen“ bis „Juckt’s im Schritt?“, lässt mich oft ratlos und leicht errötend zurück. Nicht alle Slogans sind eben so geschmeidig wie der legendäre Satz des Klovermieters Franken WC: „Ihr Geschäft ist unser täglich Brot.“
In „Freak City“ sind wir ja gewöhnt, uns für grausige Werbung zu schämen, wenn z.B. die Broses es mal wieder in die Basketball-Playoffs schaffen und dann von Bug bis Hallstadt peinliche Parolen plakatiert werden wie „Brovissimo!“ Mit Schrecken erinnere ich mich an den Sommer, in dem allüberall die „Bamore“-Poster prangten …  Immer, wenn mich in dem Jahr jemand in Bamberg besuchen wollte, war mein Vorschlag: Treffen wir uns doch in Strullendorf!
Aber all dieser Schwachsinn verblasst neben der Kampagne, die uns aktuell von den Plakatwänden der Welterbestadt entgegenschreit: „Auf geht’s, Ihr Obazis!“
Welche Agentur auch immer für diese wirre Wortschöpfung übers Knie gelegt gehört - wieso zur Hölle glaubt ein Staatsministerium, uns hier eintrichtern zu müssen: „Seids gscheid, essts bayerisch“? Bloß weil mal dies Traditions-Komasauf-Event namens Oktoberfest abgesagt wurde?
Was soll dieser erbärmlich-provokative Propagandaversuch, die Bajuwarisierung auf kulinarischem Gebiet voranzutreiben? War doch der erfreulichste Aspekt an der abermals ausfallenden Sandkerwa, dass einem der allgegenwärtige Anblick von dämlichen Dirndln und lächerlichen Lederhosen erspart blieb. (Die werden vermutlich heuer dann als Halloween-Kostüme aufgetragen.)
Mag ja sein, dass man in München meint, uns alles mögliche vorschreiben zu können. Aber sie werden niemals einen Franken dazu zwingen können, ordinären „Obazden“ statt „Gerupftem“ zu genießen oder gar klitschige „Knödel“ den köstlichen „Klößen“ vorzuziehen.
In dem Punkt ist man hier nämlich konservativ. Zum Glück.

 

(Oktober 2020)

Der Nachtmahr der Gastronomie
Ein Federweißer-Drama

Wenn das Laub langsam herbstlich vergilbt, spukt ein alljährlich wiederkehrendes Schreckgespenst durch die ohnehin aktuell stark Corona-gebeutelten gastronomischen Einrichtungen der Republik: Der Federweißer - im Fränkischen auch „Bremser“ genannt - ist Traubenmost, der sich noch in der Gärung befindet, also im Grunde so etwas wie pubertierender Wein. Und wie alles andere, was pubertiert, nervt er gewaltig. Er stinkt, er klebt, produziert Schwärme von gemeinen Fruchtfliegen und ist im Grunde nichts anderes als ein berauschendes Abführmittel auf Hefe-Basis.
Das Verheerende am Verrottende-Trauben-Smoothie ist allerdings seine Unbeständigkeit, da er sich ja gerade mitten in seinem Reifungsprozess befindet. Heute noch süffig und verführerisch, schmeckt er wenige Tage später wie etwas, das schonmal von einer Herde Elefanten verdaut wurde.
Dieser Umstand führt dazu dass der gemeine Wirtshausgast keinen Federweißer bestellen kann, ohne vorher echauffierend lange über dessen Beschaffenheit zu diskutieren. Schon viele gestandene Servicekräfte sind während „der Saison“ mental zerbrochen. Ich habe meine posttraumatischen Bremser-Belastungsstörungen in folgendem (aus Platzgründen stark gekürzten) Drama zusammengefasst, das so oder so ähnlich sicherlich in so mancher fränkischen Weinwirtschaft in den kommenden Wochen zur Aufführung kommt.

3 ältere Damen sitzen gemeinsam im Gastraum. Die Bedienung tritt an den Tisch.
Bedienung: „Guten Abend, was darf’s denn sein?“
Dame 1: „Haben Sie schon an Federweißer?“
Dame 2: „Ach ja, an Federweißer könnt mer doch trinken!“
Dame 3: „Gute Idee.“
Bedienung: „Da haben wir einen sehr guten, direkt von unserem Winzer.“
Dame 1: „Ist der denn noch sehr süß? Mir schmeckt er ja net, wenn er noch so süß ist.“
Dame 2: „Ehrlich? Ich mag ihn ja eigentlich lieber, wenn er noch a weng süßer ist.“
Dame 3: „Also ich net!“
Bedienung: „Keine Sorge, der ist nicht mehr so süß.“
Dame 1: „Sicher? Ich hab nämlich neulich in einem anderen Lokal einen getrunken, und der war noch sehr süß!“
Dame 2: „Aber wenn er zu herb ist, mag ich ihn net, mir ist er a weng süßer lieber.“
Dame 3: „Also mir net!“
Bedienung: „Jaja, die Geschmäcker sind halt verschieden - die eine mag den Federweißer eben lieber so und die andere so …“
Dame 3: „Also ich net!“
Bedienung: „Ich hab ihn vorhin probiert, und kann Ihnen versichern, dass unserer schon recht weit ist, der ist also nicht mehr süß.“
Dame 1: „Ach, wissen’S was, bringen Sie uns lieber einfach an Hauswein.“
Im Abgehen hört die Bedienung noch, wie Dame 1 sich zu den anderen beiden vorbeugt und flüstert: „Ich glaub nämlich doch, dass der noch recht süß ist.“

 

(September 2020)

Geistiger Hygieneabstand
Gesunder Menschenverstand

Man hat’s nicht leicht als Monats-Kolumnist. In den Tagen nach dem Schreiben werden oft erschreckend viele Säue durch diverse Dörfer getrieben, so dass man nie wissen kann, was bei der Veröffentlichung gerade das beherrschende Thema an den Stammtischen ist.
Während ich diese Zeilen tippe, endet z.B. gerade das heiß diskutierte „Stehbier-Verbot“ im Sandgebiet. Und an meinem Stammtisch haben wir eben gewettet, ob es bis zum Erscheinen dieser Ausgabe schon wieder in Kraft gesetzt ist oder nicht.
Momentan jedenfalls hofft unser OB Starke darauf, dass die Sandsäufer:innen sich „auch ohne Verbot an die Corona-Regeln halten“ und appelliert an den gesunden Menschenverstand. Knifflig.
Hatte man doch in der Pandemie den Eindruck gewonnen, dass es weltweit um diesen geistigen Hygieneabstand, den man „gesunder Menschenverstand“ (kurz: GM) nennt, noch schlechter bestellt ist, als selbst die miesepetrigsten Misanthropen unter uns befürchtet hatten.
Außerdem ist es doch immer etwas befremdlich, wenn Politiker vom Volk Sachen einfordern, die ihnen selbst abzugehen scheinen.
Mit etwas GM hätte doch beispielsweise der Bamberger SPD seinerzeit klar sein dürfen, dass es irgendwie unschicklich sein könnte, Daten aus dem Bundesmelderegister zu ziehen, um Wahlwerbung an Bürger:innen mit Migrationshintergrund zu schicken.
Auch die Regierungs-Neulinge von „Grünes Bamberg“ hätten mit ein bisschen GM ahnen können, dass es unangenehm auffällt, wenn sie auf einmal wichtige Referentenposten mit ihren Lieblingskandidat:innen besetzen, obwohl sie vor der Wahl vehement Ausschreibungen dafür gefordert hatten. Dass nun aber in diesem Zusammenhang gerade die CSU sich als Moralapostel gebiert, die Mutter aller Amigo-Mauscheleien, lässt auch nicht unbedingt auf ein komplettes Service im Aufbewahrungsmöbel schließen.
Die Gemälde des Nazi-Malers Bayerlein aus dem Rathaus zu entfernen, hätte ein wenig GM schon deutlich früher empfehlen können. Diese artige Entkunstung wirkt doch hauptsächlich nur deshalb für einige so schwer vermittelbar, weil das nicht schon vor 75 Jahren passiert ist. Auch wenn man sein Œuvre schätzt: In einem deutschen Sitzungssaal sind die Werke eines Hitler-Fanboys, der bis zu seinem Tod 1955 nach eigenen Worten „kein Demokrat“ sein wollte, schlicht so deplatziert wie ein Stachelschwein in einer Kondomfabrik. Der Führer selbst hat ja angeblich auch z.B. ganz ansehnliche Aktbilder von seiner Nichte gemalt, aber es käme doch niemand auf die Idee, seine Aquarelle im Kanzleramt aufzuhängen.
Und wo wir gerade dabei sind: Wäre es nicht auch ein längst überfälliges Zeichen von GM, endlich den „Fritz-Bayerlein-Weg“ umzubenennen?
Bayerleins Bilder hübsch zu finden, darf persönlicher Geschmack sein - einen unbelehrbaren Nazi per Straßenschild zu ehren, ist eine Schande. Sagt auch mein Stammtisch.

 

(August 2020)

Endlich mal was Lustiges!
Man muss wieder Satire machen

Hurra, die FN ist wieder da! Das heißt, nach 3 Monaten finden in Bamberg und Umgebung endlich wieder ausreichend Veranstaltungen statt, um das Vorhandensein eines Veranstaltungsmagazins zu motivieren.
Ich darf auch wieder ein letztes Wort haben, und die Leser:innen drängen: „Gell, das wird diesmal bestimmt eine richtig lustige Kolumne! Du konntest in den letzten Wochen doch jede Menge Stoff für witzige Satire sammeln!“
Jetzt ehrlich, ihr Leerwaafen?
Hat denn wirklich irgendwer den Eindruck, es sei nicht alles, was zu den Themen Virologenverehrung, Systemrelevanz-Schmu, Kulturkrise und Lockerungs-Leichtsinn irgendwie äußernswert schien, schon mindestens 3mal zu oft gesagt, geschrieben und gesungen worden? Falls ja, sind das vermutlich dieselben Leute, die grisselige, mies belichtete Handyvideos aus den Wohnzimmern von schlecht geschminkten Promis immer noch für feine TV-Unterhaltung halten. Also faktisch niemand.
Das Wort „Aluhut“ will auch niemand mehr sehen und hören. Klar, anfangs war’s ganz lustig, sich augenrollend über die kuriosen Parolen der „Covidioten“ zu mokieren, aber spätestens seit Vaschist Attila Hildmann den anderen bekannten deutschen A.H. als „Segen“ bezeichnet und militant antisemitische Hetze verbreitet, macht es keinen Spaß mehr, darüber zu lachen. Und wer mal einer der samstäglichen, sektiererischen Schwurbel-Sessions am Maxplatz beigewohnt hat, fand da ohnehin mehr Gründe zum Gruseln als zum Schmunzeln.
Ansonsten beherrschen weltweite Proteste gegen rassistische Gewalt und Diskriminierung die Schlagzeilen. Dazu gäbe es durchaus einiges zu sagen - nur spaßig ist Grundlagenarbeit in Sachen Antirassismus halt auch nicht; man denke nur an die regelmäßig wiederkehrende Diskussion über unser „Mohren-Haus“, in der es viel zu selten darum geht, dass eine Umbenennung kein Ersatz für eine überfällige Aufarbeitung der deutschen Kolonialismusgeschichte wäre.
Auch der Rest der Nachrichten wirkt selten erheiternd. Seit Trump gar androhte, ein Drittel der US-Truppen aus Deutschland abzuziehen, verspüren Bamberger Politiker:innen wieder puckernde Phantomschmerzen, denn nirgends in der Republik weiß man besser als hier, wieviel Verzweiflung und Gewissensnot so ein verwaistes Kasernengelände der Volksvertreterseele bereiten kann. Im Stadtrat wird bis heute das Wort „Muna“ nur flüsternd ausgesprochen, und auch niemals ohne hinterher eine Prise Salz über die linke Schulter zu streuen.
Also, liebe Welt, inner- und außerhalb Bambergs: Biete doch mal wieder eine Vorlage für fröhliche, schwungvolle Satire, dann schreibe ich auch was Lustiges.
Bis dahin brummle ich weiter mürrisch in meinen modischen, individuell designten Atemschutz und freue mich auf den Tag, an dem ich es schaffe, nicht mehr beim Händewaschen leise zweimal „Happy Birthday“ vor mich hinzusingen.


(Juli 2020)

Nicht alle Wege führen zum Dom
Kolumne, deren Namen wir nicht sagen dürfen

Es hat mitunter fast etwas Rührendes, wie irre stolz die Bamberger immer und überall auf ihre Heimat sind. Auch wenn man als Zugezogener, der ja nicht quasi von Geburt zum Bamberg uneingeschränkt Tollfinden verpflichtet ist, diesen Stolz nicht immer 100prozentig teilen kann.
Aber im Februar hatten wir alle miteinander mal wieder einen Grund, stolz auf unsere Traumstadt zu sein, die Ureinwohner, die Langzeitgeduldeten und die Neigschmeckten:
Es begab sich, dass die Neofaschisten der Splitterpartei „Der III. Weg“, gegen die unser Oberbürgermeister bereits letztes Jahr im Mai Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet hatte, einen Fackelzug durch Bamberg planten. Die Stadt wollte den Aufmarsch verbieten und stattdessen ein „Fest der Demokratie“ vor dem Rathaus feiern, soweit eine hübsche Idee. Doch das Verwaltungsgericht in Bayreuth genehmigte nicht nur die Demo der Rechtsextremisten, sondern verbot auch noch, die Gegenveranstaltung wie geplant zu betiteln, denn „die Stadt habe sich politisch neutral zu verhalten.“
Huch.
Da wehte schon ein Hauch von Anarchie durch die altehrwürdige Domstadt, als die Stadtverwaltung nach kurzem Schulterzucken dann auf ihrer Facebookseite zur „Veranstaltung, deren Namen wir nicht sagen dürfen“ einlud.
Und die Leute kamen.
Über 1000 Menschen unterschiedlichster Herkunft, jeglichen Alters und Geschlechts nebst Erdbeerschorsch trafen sich, um friedlich aber deutlich ein für alle Mal klarzustellen: Wir in Bamberg haben schon sieben Hügel, wir brauchen ganz bestimmt keinen dritten Weg!
In den Nachrichten las sich das allerdings anders. Von den „Demos der Linken und der Rechten“ wurde da berichtet, im FT schrieb man, "Angehörige der linken Szene“ hätten demonstriert.
Man fragte sich schon, ob die Journalist*innen auch nur einen flüchtigen Blick auf die Situation am Maxplatz geworfen hatten: Da tummelte sich eine bunt gemischte Gesellschaft auf Einladung unserer definitiv unmarxistischen Stadtverwaltung; und unser Andi Starke verschweigt nicht nur gerne auf Wahlplakaten seine Parteizugehörigkeit, sondern ist auch ansonsten jeglichen Sozialismus’ völlig unverdächtig.
Also erkläre ich es hier nochmal ganz deutlich:
Es ist an sich gar nichts verwerflich daran, der "linken Szene" anzugehören. Aber wer sich gegen einen Aufmarsch von Neofaschisten wehrt, muss deshalb noch lange nicht links sein. Sondern einfach nur anständig.
Wer sich auf die Seite der Rechtsextremen stellt, der hat eben alle anderen gegen sich, das gesamte politische Spektrum von der Mitte bis zum linken Rand. Und wir halten zusammen!
Die Marschierer vom III. Weg jedenfalls konnten nicht mal einen einzigen Weg zuende gehen, weil die Bamberger*innen sie nicht durchließen bis sie schließlich entnervt aufgaben. Gut gemacht!

 

(März 2020)

Widdewidddewie bitte?
Pippi Langstrumpfs merkwürdige Erben

„2 x 3 macht 4, widdewiddewitt und 3 macht 9e! Ich mach' mir die Welt widdewiddewie sie mir gefällt …“ Diesen unzerstörbaren Pippi-Langstrumpf-Ohrwurm kennt fast jeder. Hätte Astrid Lindgren geahnt, welchen Schaden sie noch Jahrzehnte später mit ihrer als fröhlicher Gegenentwurf zur autoritären Erziehung der 40er Jahre ersonnenen Anarcho-Göre anrichtet, sie hätte vielleicht lieber Kochbücher geschrieben.
Statt neugierigen und weltoffenen Freigeistern sind so in Deutschland nur Generationen von Realitätsverweigerern entstanden, die sich alle die Welt machen wollen, widdewiddewie sie ihnen gefällt.
So war kürzlich unser Minister für Flugtaxis und andere Märchen zu Gast in der Talkshow von Markus Lanz, wo er seine an die Wand gefahrene Maut verteidigte, als sei sie das Größte seit dem E-Scooter. Als daraufhin selbst Lanz mal kritisch nachhaken musste, konstatierte Scheuer nur trotzig: „Ich habe eben eine andere Rechtsauffassung als der EuGH!“
Prinzipiell habe ich ja ein gewisses Verständnis für solche Auffassungs-Aussetzer. Mir ist es doch auch schon passiert, dass ich im Wirtshaus nach durchzechter Nacht eine andere Rechnungsauffassung hatte als der Wirt. Zahlen muss man dann allerdings trotzdem. Doch spätestens am übernächsten Tag wird man auch wieder nüchtern und muss demütig einsehen, dass die doofe Wirklichkeit eben nicht so ist, widdewiddewie man sie sich in seinem Seier ausgemalt hatte.
Aber der Wille zur Nüchternheit fehlt offensichtlich auch einigen Bamberger Politikern bzw. solchen, die es werden wollen. Hier hat die AfD laut FT-Bericht darum gebeten, die Namen von mehr als einem Drittel ihrer StadtratskandidatInnen nicht öffentlich zu nennen.
Kurios: In den letzten Monaten sahen sich im Rest der Republik diverse PolitikerInnen gezwungen, ihre Posten aufzugeben; JournalistInnen und Kulturschaffende mussten sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, weil sie sich den Anfeindungen - bis hin zu Morddrohungen - von Anhängern fölkischer Dummbatzigkeit nicht mehr gewachsen fühlten. Doch in Bamberg wehklagen die Parteimitglieder, dass sie Angst vor „Beschimpfungen“ haben und auch „Geschäftsleute Nachteile befürchten“.
Dass die sensiblen Rechtspopulisten derart empfindliche Pflänzchen sind, ist natürlich schon auch witzig, dennoch wirft diese extreme Realitätsferne Fragen auf:
Mal ganz abgesehen davon, dass es nach Gesetzeslage völlig unmöglich ist Ms. X oder Mr. XY inkognito auf eine Liste zu setzen - wie sollte das denn nach den Wahlen im Stadtrats-Alltag aussehen? Würden die Abgeordneten der „Anonymen für Diskretion“ sich während der Sitzungen gegenseitig schwarze Balken vor die Augen halten? Falsche Brillen und Pappnasen aufsetzen? Oder doch vielleicht ihre Gesichter unter spitzen weißen Kapuzen verbergen? Widdewiddewie haben die sich das vorgestellt?

 

(Februar 2020)

Wo bleibt der Guerilla-Kindergarten, wenn man ihn braucht?
Bloß weg mit 2019

Die Tage um Silvester haben ja für viele einen leicht apokalyptischen Beigeschmack. Man lässt die vergangenen Monate Revue passieren, fasst Vorsätze und Hoffnungen und versucht sich einzureden, es könnte ja vielleicht ab sofort alles irgendwie besser werden.
Heuer dürften wir uns aber zumindest einig sein, dass es um diesen Hundsfott von einem Jahr nicht schade ist. 2019 war ein einziges Kopfschütteln, Würgereiz-Unterdrücken und Sich-Schönsaufen-Müssen. Nichts illustriert dieses absurde Drecksjahr so deutlich wie die Tatsache, dass während ich diese Zeilen tippe, Andreas Scheuer noch immer als Verkehrtmachminister in Amt und Würden ist.
Ein Jahr, in dem die allgegenwärtige Diskussion über die Klimakrise zur Folge hatte, dass mehr Flugreisen, mehr Kreuzfahrten und mehr SUVs denn je verkauft wurden, kann einen schon in Weltuntergangsstimmung bringen. Gerade auch in Bamberg hatten die letzten zwölf Monate etwas Ruinöses. Erst scheuchte man die Bands aus dem brandgefährlichen „House of Music“, dann drohte das „Sound-n-Arts“ einzustürzen. Rock’n’Roller scheinen die neuen Trümmerfrauen zu sein.
Überhaupt hatte man den Eindruck, die Traumstadt sei derartig am Verrotten, dass man sich wundert, warum das Stadtmarketing nicht schon längst einen Event als Touristenattraktion daraus gemacht hat: „Bamberg bröckelt“ oder so.
Gut, unser Dom ist im Gegensatz zu Notre Dame wenigstens unversehrt davongekommen. Dafür hat man ihm allerdings unter Vorspiegelung klerikaler Kunst ein tumbes Wortspiel als flackernde Peinlichkeit zwischen die Türme gekleistert. Welche der beiden Kathedralen das grausamere Schicksal getroffen hat, scheint mir diskussionswürdig.
Aber auch was Neubauten und Renovierungen betrifft, hat Bamberg einiges einstecken müssen. Zugegeben, das neue Welterbezentrum an den Unteren Mühlen ist wirklich schmuck geworden, aber dafür hat man mit dem Quartier an der Stadtmauer einen architektonischen Furunkel von gröbster Scheußlichkeit in die Innenstadt geklotzt, und ich kann nur hoffen, dass irgendwann ein Guerilla-Kindergarten die netzhautverätzende Passage zur Langen Straße mit Fingerfarben überschmiert.
Auch das neue Rathaus am ZOB sieht nicht nur von außen aus wie ein Mahnmal für die Opfer der bayerischen Bürokratie, es entfaltet auch im Inneren einen beamtischen Charme, als befände man sich mitten in einer Inszenierung von Orwells „1984“, die wegen Budgetkürzung vom Dänischen Bettenlager ausgestattet wurde.
Haken wir also 2019 am besten ganz schnell ab und freuen uns auf das nächste Jahr. Da wird nämlich der Berliner Ring ausgebaut. Und die Bahn stellt ihr neuestes Sperrkonzept vor. Da wird der Verkehr bei uns laufen, als hätte ihn Andi Scheuer persönlich geplant. Vielleicht haben wir ja Glück und die Klimakrise erledigt uns vorher.

 

(Januar 2020)

In der Maxplatzkrippe liegen keine Robben
Von der Optik der Christkinder

Ein echtes Weihnachtswunder begab sich heuer bereits im November - die AfD entschuldigte sich offiziell für eine rassistische Entgleisung.
Und das kam so:
In Nürnberg präsentierte man das neue Christkind, Benigna Munsi, eine strahlende 17jährige, die nach Ansicht einiger jedoch zwei Makel hat, nämlich erstens einen Vater indischer Herkunft und zweitens, dass man ihr das ansieht.
Sofort tobte der vaterlandsfanatische Furor. Dort, wo man sich traditionell im Advent sinnfrei über „Wintersterne“ und „Zipfelmänner“ echauffiert, fürchtete man direkt die Ausrottung der Arier durch indische Islamisierung, quasi ein nationalgermanisches Ragnarök zur Wintersonnenwende. In den Kommentarspalten von inFranken oder bild.de waren manche Leser auch weniger zimperlich in der Wortwahl.
Doch die Mehrheit der Bevölkerung fand Benigna ganz zauberhaft, und wohlmeinende Gutmenschen hielten solidarisch dagegen: Die junge Dame sei schließlich in Nürnberg geboren, das wäre ja wohl deutsch genug für ein Christkind. (Was erwähnte Entschuldigung zur Folge hatte.)
Aber dies vermeintliche „Argument“ ist ebenso blödsinnig wie der Vorwurf selbst. Warum sollte die deutsche Staatsbürgerschaft eine Qualifikation für den Job der Jahresend-Jubelgöre sein? Selbst wenn diese charmante und kluge junge Frau erst vor 4 Wochen nach Nürnberg gezogen wäre, könnte sie doch eine glamouröse und huldvolle Werbefigur für Industrielebkuchen abgeben.
Wer einmal eine der wunderschönen weihnachtlichen Ausstellungen des Bamberger Krippenvereins - der übrigens in diesem Jahr sein 100jähriges Bestehen feiern durfte - in der Maternkapelle besucht hat, weiß, dass Christ*innen in der ganzen Welt die Geburtsszene gern in den eigenen Kulturkreis verlegen: Drum trägt das herze Jesulein in Japan asiatische Züge, peruanische Hirten hüten Lamas, bei den Inuit hocken statt Ochs und Esel Robben im Iglu. So kommt’s, dass Maria in der Krippe am Maxplatz fränkisch gewandet am Kachelofen sitzt und der Engel ein bisschen aussieht wie Jonas Glüsenkamp mit Föhnwelle. Andere Krippendarstellungen wieder legen mehr Wert auf historische Korrektheit.
Beim Christkind ist aber die Optik noch viel egaler, denn das ist ja nicht einmal eine biblische Gestalt, sondern frei erfunden. Und auch noch - jetzt ganz tapfer sein! - evangelisch. Denn es war Martin Luther, der seinerzeit dies fröhliche Kindermärchen verbreitet hat; als Konkurrenz für den Geschenkebringer der Katholiken, St. Nikolaus. (Dieser türkische Bischof, sie wissen schon.)
Machen wir uns nichts vor: Das Christkind ist so wenig heilig wie der Osterhase oder das Sandmännchen. Also? Wie wäre es denn im nächsten Jahr in Bamberg mal mit einem Flüchtlings-Christkind? Das hätte dann sogar tatsächlich einen Bezug zur Weihnachtsgeschichte.
Und Frieden auf Erden, verdammte Axt!

(Dezember 2019)

Wenn der Busmann zweimal hustet
Gute Besserung im Nahverkehr

Haben Sie viel zu viel Zeit? Stehen Sie gerne sinnlos in der Gegend herum?
Und wenn Sie unterwegs sind, ist es Ihnen dann völlig egal, wann und wo, bzw. ob Sie überhaupt ankommen?
Ja?
Super! Dann ist ein Fahrt mit dem Stadtbus von Bamberg-Ost ins Berggebiet genau das Richtige für Sie!
Mit diesem knackigen Slogan möchte ich mich hiermit als neuer Reklametexter für die Bamberger Stadtbusse bewerben. Ich finde, so eine Kampagne bringt ein erfrischendes Quäntchen Ehrlichkeit mit und beschreibt unseren ÖPNV als das überraschungs- und wendungsreiche Abenteuer-Event, das er doch ist. (In jedem Fall besser als die penetranten Eigenwerbungen der Stadtwerke, in denen sie sich als „zauBAhaft“, „erreichBA“ und „wunderBA“ beschreiben, die aber einfach nur unfassBA BAscheuert sind - in den Bussen allerdings unentrinnBA.)
Ist die Fahrt mit den innerstädtischen Öffis in Bamberg schon unter normalen Umständen ein kniffliges Glücksspiel, so wird sie vollends zur Kamikaze-Mission, wenn wie kürzlich mal wieder eine garstige Grippeepidemie die VGN-Chauffeure gnadenlos zu Dutzenden an ihre Busfahrerbetten fesselt.
An den Haltestellen der Traumstadt kommt es zu aufwühlenden und hochemotionalen Szenen. Menschentrauben hängen am ZOB mit ihrem Blick wie hypnotisiert an den Anzeigetafeln, auf denen verheißungsvoll Verbindungen angekündigt werden und Ankündigungen nach einigen Minuten wie von Geisterhand wieder verschwinden, so als hätte es nie einen Hoffnungsschimmer gegeben. Doch mit einem Mal ertönt ein Ruf: „Da kommt sie, die 901!“ Jubel brandet auf wie seinerzeit bei Genschers Balkonrede in Prag. Wildfremde fallen einander tränenüberströmt in die Arme, glücklich und dankbar für die Chance, das Klinikum noch zu erreichen bevor das Haltbarkeitsdatum der Pralinen für Tante Hildegund abläuft. Oder das von Tante Hildegund.
Doch im allgemeinen ertragen die Bamberger den influenzabedingten Mangel an Verkehr mit typisch fränkisch-stoischer Gelassenheit. Gegen Erkältung ist eben kein Kraut gewachsen, also was soll’s, wenn man ein paar Stunden später zur Arbeit, zum Rendezvous oder vom Bockbieranstich heim kommt. Außerdem wirken die meisten Busfahrer sowieso prinzipiell so verschnupft, wenn da zur professionellen Übellaunigkeit noch schleimige Symptome eines mächtigen Männerschnupfens kommen - das will man sich doch gar nicht vorstellen.
Deshalb auf diesem Wege: Allen kranken Kraftfahrern des VGN gute Besserung! Ich weiß, wie furchtBA sie sich fühlen müssen, denn während ich diese Zeilen schreibe liege ich selbst röchelnd, schniefend und verquollen auf meinem Lager und dünste aus allen Körperöffnungen dermaßen stark Eukalyptus aus, dass ich letzte Nacht geträumt habe, ein Rudel Koalas wollte mich zerfleischen. Vermutlich habe ich mich wohl auf einer Busfahrt angesteckt …

(November 2019)

Die Midlife-Crisis unter den Jahreszeiten
Lob des Herbstes

Wenn das Hainbad seine Pforten schließt, der Maxplatz wochenlang eventfrei bleibt und einem auf dem Spezi-Keller braunes Laub ins Seidla fällt, dann ist es soweit, der Herbst ist in Franken eingezogen.
Das Ende des Sommers ist für viele ein Anlass, in Depressionen zu versinken, aber ich find’s grandios. Die Theatersaison hat begonnen, die Vogel- und Touristenschwärme ziehen gen Süden, auch das TV-Programm wird wieder besser.
Das mit der Bikinifigur hat sich für heuer endgültig erledigt, in der Werbung regieren Genusssucht und Naschhaftigkeit, mit der nächsten penetranten Propaganda-Welle für Abnehmwahn und Fitness ist erst wieder nach den Feiertagen pünktlich ab dem 2. Januar zu rechnen.
Der Herbst ist ja bekanntermaßen die Midlife-Crisis unter den Jahreszeiten, und da ich für diese psychische Peinlichkeit genau im richtigen Alter bin, fühle ich mich pudelwohl. Wir haben so viel gemeinsam, der Herbst und ich. Auch meine Tage waren früher mal länger, während es an einigen Stellen welkt, wächst an anderen nichts mehr nach, und Crop Tops wirken an mir deutlich deplaziert.
Auch wenn Horden von Best-Agern mit fitnesstudiogestählten Bizepsen und selbstgebräunten Ledergesichtern jetzt blöken: „Man ist so jung wie man sich anfühlt!“ Jungs, wenn man irgendwann gezwungen ist, sich regelmäßig in den Ohren zu rasieren, ist die Jugend vorbei, selbst wenn man sich Anti-Falten-Creme intravenös spritzt. Oder wie meine ehemalige Biologie-Lehrerin es formulierte: „Man kommt eben einmal in das Alter, in dem aus der Rose eine Hagebutte wird.“
Das hat auch Schönes. Wenn ich z.B. mal wieder zur Geisterstunde am ZOB in einer Rotte Teenager auf den letzten Nachtbus warte, bin ich wirklich froh, so alt zu sein, dass ich schon Socken und lange Hosen tragen darf. Im Oktober.
Okay, man muss vielleicht seine erotische Zielgruppe jahrgangstechnisch etwas hochfahren. Hier sollte die Faustregel gelten: Mit einer Generation, deren Musikgeschmack man nicht mehr kennt - geschweige denn teilt - sollte man auch nicht schlafen wollen. (Das war einer der Gründe, warum ich in den 90ern keinen Sex mit Gleichaltrigen hatte.)
Im Herbst bin ich ein fröhlicher Endvierziger, der seine positive Einstellung gerne mit Jüngeren teilt. So versuchte ich neulich einen Kollegen an seinem 39. Geburtstag aufzumuntern, der sich schrecklich um den Verlust seiner Jugend sorgte.
Um ihn zu ermutigen sagte ich, er soll sich keine Sorgen machen, ich hätte das ja schon hinter mir und könnte ganz ehrlich sagen, dass ich mich nie wohler in meinem Körper gefühlt habe als jetzt. Da legte er die Stirn in Falten und meinte traurig: „Ja, aber ich frage mich, ob das wirklich was Gutes ist, oder ob es einem im Alter einfach egal ist, wenn man sich gehen lässt.“
Hm, vielleicht gönne ich mir dieses Jahr doch eine Herbstdepression?

(Oktober 2019)

Der alte Mann und das „Wer?“
Bamberger Game Of Thrones

Dumpfer Trommelwirbel. Die kommenden Kommunalwahlen werfen ihre flackernden Schatten voraus, eine der spannendsten Wahlen der lokalen Geschichte (behauptet der FT), weshalb man schon vor Monaten begonnen hat, wegen des erwarteten Andrangs zusätzliche Wahllokale einzurichten. Die Spannung bei den Wähler*innen steigt minütlich.
Im August dann platzt die Bombe: OB Starke kandidiert für eine weitere Amstzeit! „Leck mich fett!“ tönt aus den erstaunt aufgerissenen Mündern des Wahlvolks angesichts dieser völlig unerwarteten Überraschung.
Ja gut, schon im Frühjahr hatte Bambergs investigativstes und unbestechlichstes Nachrichtenmagazin WOBLA unter der Überschrift „Mach’s noch einmal, Andi“ berichtet, 60% der Bamberger wünschten sich eine erneute Kandidatur von Starke. Allerdings hat die Erwartungshaltung „Das Publikum hat sich so an mein Gesicht gewöhnt, da werde ich wohl auch in der nächsten Staffel mitspielen“ bei Game Of Thrones ja nun gar nicht funktioniert, wer weiß, welche dramatischen Wendungen da das Bamberger Spin-Off nehmen wird …
Bei der CSU hatte bereits im Februar Starkes Stellvertreter Dr. Christian Lange die OB-Kandidatur an sich gerissen wie seinerzeit Kaiser Heinrich den Leichnam seines Vorgängers. Und eröffnete den Wahlkampf auf Facebook mit einem schicken, blauen Werbebanner, auf dem unter seinem launigen Lächeln die Parole zu lesen war:
Wie der US-Amerikaner sagt: I have a dream.
träum.weiter
An diesem Slogan ist so vieles furchtbar, dass allein die Aufzählung meine Kolumne sprengen würde. Mal angefangen damit, dass mitnichten „der US-Amerikaner“ dieses Zitat geprägt hat sondern Friedensnobelpreisträger Dr. Martin Luther King Jr., und als der in den 60er Jahren für die Rechte der Schwarzen gekämpft hat, hatte er dabei eher nicht die CSU im Sinn. Man hat schon ein bisschen Angst, was da noch nachkommt? Wie wäre es mit einer viralen Wahlkampagne auf Twitter: Ich wähl Lange. Du auch? #metoo
Nur mal so als Vorschlag.
Leichte Anflüge von Größenwahn klangen allerdings auch bei den Grünen durch, als die im Juli plötzlich den 31jährigen Jonas Glüsenkamp aufstellten. „Wer is noch des?“ entfuhr es da unisono den Wahlvolkmündern, aber das machte der grünen Fraktion nichts aus. „Wer hat vor einem halben Jahr Greta Thunberg gekannt?“ parierte der Fraktionschef. Hmm. Auch das ein gewagter Vergleich. Ganz abgesehen davon, dass das Schippern im Fahrwasser des Flagschiffs der Klimastreikflotte noch lange keine ausreichende Qualifikation sein dürfte, als Kapitän das Steuer der Stadt Bamberg zu übernehmen. Und sei es nur für eine Hafenrundfahrt.
Nun denn - das ist der bisherige Cast für die Schlacht um den Bamberger Thron. Wir wissen also jetzt, wen wir wählen sollen. Wäre nur schön, wenn man im Verlauf der nächsten Episoden vielleicht auch noch ein paar Hinweise bekäme, warum.

 

(September 2019)

Die Kaiserin mit der Eisenfaust
Gleichberechtigung an der Promenade

Juli 2019. Das politische Klima in der Welt wird immer brutaler. Das klimatische Klima sowieso. Doch in der Traumstadt der Deutschen erregt ein viel größeres Problem die Gemüter:
Man hat es nämlich gewagt, das neue „Bürgerrathaus“ auf den letzten Drücker umzubenennen, weil bei der Stadtverwaltung kurz vor der Eröffnung aufgefallen ist, dass der männliche Begriff „Bürger“ ja irgendwie höchstens die Hälfte der Bevölkerung bezeichnet. Und weil das ja dann vielleicht auch noch anderen auffallen könnte, die sich dann darüber beschweren, heißt das „Service-Rathaus“ (was eigentlich der größere Lacher sein sollte) jetzt „Rathaus am ZOB“.
Dass der ortsansässige Volksmund das nun mit RATZ abkürzt, kann man doof finden oder nicht. Aber möglicherweise hätte derselbe Volksmund dann ein „Bürgerrathaus an der Promenade“ einfach mit BÜRP abgekürzt, und das wäre doch auch nicht schön gewesen.
In jedem Fall liest man dieser Tage viel von „Gendermist“, der den armen Einwohner*innen hier aufgezwungen würde, über „Sprachverschandelung“ wird geschimpft und die Bedrohung durch die gefährliche „Political Correctness.“ Ist doch auch nervig, dass diese blöden Weiber ständig mitgemeint werden wollen, reicht das nicht, dass sie jetzt seit 100 Jahren wählen dürfen? Was wollen die als nächstes? Den gleichen Lohn wie Männer? (Von der unzumutbaren Vorstellung, dass es mehr als 2 Geschlechter geben könnte und die evtl. auch Rechte haben möchten, fange ich gar nicht erst an.)
Die Kritiker sind überraschenderweise vorzugsweise männlich und (ich unterstelle mal) von der Sorte, die nachts heimlich ihre alte „Pippi-Langstrumpf“-Ausgabe von 1945 streicheln und ein bisschen weinen, weil sie nirgends mehr ihr „Negerkussbrödla“ kaufen können, ohne zurecht blöd angeschaut zu werden.
Dabei sollten doch gerade wir Bamberger*innen von unseren Stadteltern gelernt haben, wie wichtig Gleichberechtigung ist. Kaiser Heinrich nämlich war doch hauptsächlich dafür bekannt, lendenlahm zu sein und Nierensteine zu haben. Ansonsten war er meistens unterwegs. 
Kunigunde hingegen - mit deren Kapital das Bistum Bamberg übrigens gegründet wurde - leitete hier die Geschäfte. Ja gut, ihr Gatte hat den Dom errichten lassen - aber wer musste dann die Bauaufsicht führen und die diebischen Arbeiter verstümmeln? Na raten Sie mal! Und als Gerüchte über ihre Untreue kursierten, ist sie einfach mal flugs über glühende landwirtschaftliche Geräte spaziert, warum auch immer. Nicht zu vergessen ihr gefürchteter rechter Haken, mit dem sie ihre vergnügungssüchtige Nichte fürs Leben entstellte.
Unsere Kunigunde also, diese mittelalterliche Mischung aus Le Corbusier, David Copperfield und Bud Spencer in feminin, die hätte doch drauf geachtet, dass sich auch die Bürgerinnen von ihrer Stadtverwaltung angesprochen fühlen. Oder etwa nicht?

 

(August 2019)

Vom Osten lernen
Kein Bier für Nazis

„Braune Schläfer - der neue Terror von rechts“ schreit es reißerisch vom Titel des „Spiegel“. Neu?, frage ich mich. Worüber berichten die als nächstes? Die technische Innovation Farbfernsehen? Mag ja sein, dass man beim Spiegel schläft, die Rechten tun es schon lange nicht mehr.
Aber auch in den sozialen Netzwerken, Talkshows und anderen Magazinen scheint man ganz erstaunt erst jetzt festzustellen, dass es in Deutschland organisierte Neonazis gibt.
Nur Joachim Gauck, Ex-Präsident und Spezl von Hetz-Oma Erika Steinbach, forderte plötzlich mehr Toleranz nach rechts, was aber nur kurz für Aufregung sorgte bis sich herumgesprochen hatte, dass er damit bloß Werbung für sein neues Buch machen wollte. (Auch das hat der „Spiegel“ mit als letztes gemerkt.)
Vielleicht hätte man mal früher in der Provinz nachfragen sollen?
Hier in Bamberg haben wir nämlich schon seit Jahren gegen NPD-Parteitage und Kundgebungen der „Rechten“ auf dem Maxplatz demonstriert. Und spätestens nach den Angriffen auf das antifaschistische Café „Balthasar“ war auch klar, dass die nicht nur auf Konversation aus sind. Nicht zuletzt waren es Razzien in Bamberg, die 2015 zum Verbot des Netzwerks „Weisse Wölfe Terror Crew“ geführt hatten.
Letztes Jahr hat unser OB Starke die Splitterpartei „Der III. Weg“ wegen Volksverhetzung angezeigt. Das war mutig und gut, aber noch nicht genug.
Im sächsischen Ostritz hat man kürzlich auf besonders entzückende Weise den Besuchern eines rechtsradikalen Rockfestivals den Spaß verdorben.
Erst zog die Polizei dort sämtliche Alkoholvorräte ein, und daraufhin taten sich die Anwohner zusammen und kauften im örtlichen Supermarkt alles Bier auf, mehr als 120 Kisten.
Eine pfiffige Aktion, unaufwändig, gewaltfrei und doch ein deutliches Signal. Davon könnten wir uns doch hier, in der Welthauptstadt des Bieres, ein Seidla abtrinken.
Man stelle sich vor: Sämtliche Bamberger Brauereien schlössen sich zu der Kampagne: „Kein Bier für Braune“ zusammen, und auf jeder Flasche Schlenkerla, Keesmann, Mahr’s, etc. prangte auf dem Etikett ein kleines „Nazis-raus“-Logo. Und auch an den Eingängen der Keller und Schankwirtschaften könnten Schilder verkünden: „Für Rechte gibt’s net amoll Schabeso!“
In den einschlägigen Internetforen würde man sofort zum Boykott unseres gutmenschigen Gerstengetränks aufrufen, wie u.a. schon bei der Biermarke Beck’s. Die hatte nämlich im November mit dem Label „Gegen braune Flaschen“ geworben und sich so den Zorn der Patriotisten zugezogen.
Nun wird wohl kaum jemand bezweifeln, dass der Verzicht auf unsere fränkischen Hopfen-Herrlichkeiten die meisten Nationalisten empfindlich schmerzhafter treffen dürfte als bei der nordischen Industrieplörre. Und möglicherweise wäre man dadurch sogar einen kleinen Teil des in letzter Zeit immer wieder angeprangerten „Sauftourismus“ los.
Also, mir wär’s recht. Prost.

 

(Juli 2019)

Durchs wilde Luthristan
Eine evangelische Landjugend

Wenn in den örtlichen Online-Magazinen Artikel zum Thema Bamberger Moschee oder Ankerzentrum erscheinen, verkneift man sich lieber einen Blick in die Kommentarspalten. Dass dort von tumben Trollen der Bodensatz der Meinungsfreiheit ausgekübelt wird, ist allgemein bekannt, aber hier auch nicht schlimmer als anderswo. Und dass unter den Franken der Deppen-Anteil prozentual genauso groß ist wie im Rest der Republik, dürfte wohl niemanden verwundern, außer vielleicht die Franken selbst, die sich ja gerne für a weng niedlicher als alle anderen halten.
Mich persönlich machen Pöbel-Parolen à la „Sollen die doch hingehen, wo sie hergekommen sind“ immer ein bisschen nostalgisch, denn einige davon habe ich in meiner Kindheit und Jugend selbst regelmäßig zu hören bekommen.
Als meine Familie in den späten 70er Jahren in ein kleines oberfränkisches Dorf zog, war das Wort „Willkommenskultur“ noch nicht erfunden, und so wurden wir von vielen Eingeborenen argwöhnisch beäugt, gemieden, mitunter auch offen angefeindet. Auf dem Schulhof waren böse Sprüche und Rempeleien keine Seltenheit. Und dafür brauchten wir nichtmal ein exotisches Äußeres. Blaß, pummelig und rothaarig zu sein, verbesserte meine Situation zwar nicht unbedingt, aber das war bloß ein Bonus.
Wir waren nämlich nicht nur (schlimm genug!) „Preußen“, sondern auch noch (Trommelwirbel!) evangelisch! In meiner Klasse war ich der einzige.
Gut, damals konnte noch keiner twittern „Die Reformisten nehmen uns die Frauen und die Jobs weg!“ oder „Katholische Omis hungern weil den Luthrischen alles hinten reingeschoben wird!!1!11!“ - Aber an Sätze wie „Solche wie euch wollen wir hier net!“ kann ich mich gut erinnern. Auch Hässlicheres.
In der Bamberg war man nicht zwangsläufig toleranter. Kaum jemand, der in den 70ern schon zur Geschlechtsreife gelangt war, kennt keine Horrorgeschichten von handfesten Familiendramen und -zerwürfnissen, nur weil ein Teenager bei der PartnerInnenwahl zur falschen Konfessionsgröße gegriffen hatte.
Und Bekannte, die in den 60ern eine Grundschule in Bamberg Ost besuchten, berichten, dass es ihnen strengstens verboten war, mit evangelischen Kindern auch nur zu reden. Wer MitschülerInnen dabei erwischte, sollte sie beim Lehrer melden.
Zugegeben: Nordirische Verhältnisse waren das noch lange nicht, wobei das vielleicht eher dem fränkischen Phlegma zuzuschreiben ist. Aber hätte es die Möglichkeit gegeben, die ungeliebten Evangelen nach „Luthristan“ oder so abzuschieben, wir hätten wohl täglich im Morgengrauen mit der Polizei rechnen müssen.
Für jüngere Generationen dürfte das klingen wie Geschichten aus einem besonders dämlichen Paralleluniversum. Dabei ist es bloß ein paar Jahrzehnte her. Und das gibt doch Hoffnung, dass auch die unnötigen Vorurteile von heute in wenigen Dekaden höchstens noch für ungläubiges Schmunzeln sorgen.

 

(Juni 2019)

Oder soll man es lassen?
Freitags wieder in die Schule

„Wir haben nichts zu verlieren außer der Zukunft!“ - „There is no Planet B“ - „Eure Klimapolitik tötet!“ So steht es auf den Schildern der Schüler, die bei den „Fridays-for-future“-Demonstrationen wöchentlich auf die Straße gehen, trotz angedrohter Strafen und Verweise.
Eigentlich griffige Parolen, die spontan überzeugend wirken. Sollten.
Doch hat unser Nachwuchs da wohl die Realitätsresistenz der bornierten Betonköpfe in der deutschen Politik unterschätzt.
So fürchte ich, dass es wohl nur eine Frage der Zeit ist, wann die Kinder es leid sind, den Herren Altmaier, Lindner und wie sie alle heißen immer wieder vergeblich die gleichen Zusammenhänge zu erklären. Dabei brauchten die bräsigen Bürokraten bloß einmal einen Bamberger Gärtner zu befragen, um zu kapieren, dass die Sonnenuhr auf 5 vor 12 steht.
Auch die Lokalpresse lässt sich trotz Waldbrandgefahr den Spaß an der Hitze nicht nehmen. “Sonnig, warm und trocken: Hält das gute Wetter?“ fragt man sich auf inFranken.de und zeigt voyeuristische Schnappschüsse von Sonnenbadenden im Bikini. An den Stammtischen verdreht man beim Stichwort „Klimaschützer“ schon die Augen bis der Sehnerv knirscht. Fast bekäme man Lust, wieder über Flüchtlinge zu reden.
Und da doch augenscheinlich niemand auch nur ansatzweise vorhat, irgendetwas ernsthaft zu ändern: Sollten wir nicht einfach das Gerede sein lassen und das Beste aus der Situation machen? Das erscheint mir als sehr fränkischer Lösungsansatz.
30 - 40 spaßige Jahre könnten für uns noch rausspringen, in denen wir alle Annehmlichkeiten genießen könnten, die wir so ungern missen möchten: Flugreisen, Rindersteaks und Trinkhalme aus Plastik.
Wir Bamberger könnten uns den nervtötenden Bahnausbau sparen. Das Atrium überlassen wir handwerklich begabten, studentischen Hausbesetzern, die Sandstraße wird zum Niemandsland erklärt, in dem nur noch das Recht des Hochprozentigeren gilt.
Keiner brauchte sich über die Zukunft des Muna-Geländes den Kopf zerbrechen. Welche Zukunft denn? Es würde sich auch nicht mehr lohnen, sich über fehlende Radwege aufzuregen, oder darüber, wie kackenhässlich die Passage durch das neue Quartier an den Stadtmauern geworden ist.
Die Kinder könnten endlich wieder Freitags in die Schule - auch wenn sich die Frage aufdrängt wieso eigentlich noch - die Erwachsenen könnten bei die Bosch fröhlich weiter Teile für Dieselmotoren herstellen und dürften dafür in der Freizeit soviel in der Regnitz baden wie sie wollen.
Wenn deren Pegel dann soweit gestiegen ist, dass das Wasser ins Alte Rathaus hineinläuft, könnte man den Klimawechselleugnern rasch noch ein gepfeffertes „Siehste!“ (fränkisch: „Sixt!“) entgegenschleudern und sich dann einer marodierenden E-Scooter-Gang anschließen. So wären die letzten Tage vor der Apokalypse fast wie bei „Mad Max“, nur ein bisschen peinlicher. Ich persönlich fände das passend.

 

(Mai 2019)

Barbara Schöneberger im Stadtbus
Politisch korrektes Glotzen

„Ach, der Frühling,“ strahlt mich ein Kollege an. „Da macht a Fahrt mit‘m Stadtbus viel mehr Spaß ... Weil die Madla wieder kurze Röck anhaben.“ Und zwinkert zweideutig.
Sofort erhält das fröhliche Gespräch einen Bä-Bä-Beigeschmack. „Spanner!“ will ich dem Lüstling entgegenrufen, was mir nicht recht gelingt, weil ich mich selbst ertappt fühle. Schließlich gucke ich auch ganz gerne mal hin, wenn aus schicken Shorts wohlgeformte Waden ragen.
Aber ich gucke ja harmlos. Peinlich glotzen - das tun die anderen. Nur sollte man sich, nicht erst seit #metoo, fragen, ob das vom Gegenüber auch so harmlos empfunden wird.
Ich kenne durchaus Damen, die gerne mal Mini tragen, eben damit man ihre Beine bewundern kann. Und von Barbara Schöneberger stammt das Zitat: „Wenn Männer mein Dekolleté loben, freue ich mich - sonst werde ich zu sehr auf meine inneren Werte reduziert.“
Doch habe ich auch eine Freundin mit üppiger Oberweite die es - verständlicherweise - ernsthaft anwidert, wenn ihr hormonisierte Hornochsen schier in den Ausschnitt fallen, weil sie aus Temperaturgründen auf dicke Oberkörperverhüllung verzichtet.
Andere Freundinnen von mir riskieren auch mal heimliche Blicke auf hübsch haarige Herrenkörper, wenn die Tage länger und die Hemden kürzer werden.
Nun dürfte der Prozentsatz von Männern, die sich durch begehrliche Frauenblicke belästigt oder gar bedroht fühlen, im Vergleich gering ausfallen. Gerade darum ist es witzig, wie humorlos viele reagieren, wenn ihnen mal ein Schwuler genau so auf den Po schielt, wie sie das bei einer „scharfen Braut“ tun, die sich dann „nicht so anstellen soll“, weil das doch „bloß ein Kompliment ist.“ Auf so einen Arsch zu gaffen, wird ja fast schon zum emanzipatorischen Akt, wenn man mutig genug ist, das so zu betrachten.
Als neulich Wissenschaftler herausfanden, dass Männer, die täglich 10 min. Frauenbrüste ansehen, 4 - 5 Jahre länger leben, wurde heiß diskutiert, ob diese Information als solche schon sexistisch ist. Ich persönlich fand eher diskriminierend, dass bei der Studie niemand wissen wollte, ob auch Frauen von der heilenden Wirkung des Anblicks sekundärer männlicher Geschlechtsorgane profitieren können.
Modemacher*innen sollten sich mal ein Gimmick zur Lösung der Misere einfallen lassen. Wie wäre es z.B. mit bunten Buttons, die die Intention einer Person im luftigen Dress diskret aber unmissverständlich klarstellen. Für den Anfang würden zwei Varianten genügen: „Gucken erwünscht“ oder „Ich hab das nur an, weil mir warm ist.“
Bis sich dieses Konzept allerdings durchsetzt, kann es wohl dauern, und so konzentriere ich mich im Bus lieber auf den kleinen Bildschirm und lerne die Werbung der Stadtwerke auswendig.

Übrigens: Den gleichen gesundheitsfördernden Effekt wie bei Brüsten können Männer laut der Studie beim Betrachten von niedlichen Tierbabys erzielen. Das nur nebenbei.

 

(April 2019)

Was denn noch alles?
Burnout des mündigen Bürgers

Wenn man über das Leben vor 100 Jahren nachdenkt, kann man schon wehmütig werden. Gut, damals gab es noch keine Staubsaugerroboter und man wurde von der spanischen Grippe dahingerafft, aber die Übersichtlichkeit des Alltags erscheint geradezu paradiesisch. Heute winkt einem doch der Burnout der Sozialkompetenz schon beim Aufwachen zu.
Man soll sich den PIN-Code des Fernsehers merken, die IBAN vom Girokonto und das Safeword für die Domina. Man soll für alle Online-Shops, Streaming-Dienste und soziale Netzwerke verschiedene Passwörter verwenden, sonst könnte jemand deinen Spotify-Account hacken und in deinem Namen furchtbare Playlists mit Songs von Santiano, Andreas Gabalier und den Lochis erstellen.
Man soll Lebensmittel möglichst regional und saisonal einkaufen, die Preise für Strom, Mobilfunk und Versicherungen vergleichen, stets die Bonuskarten für Zahnarzt und Coffeeshop bei sich tragen. Kinder und Haustiere rechtzeitig impfen lassen und sich hüten, mit seinem BMI die Krankenkassen zu belasten. Beim Verreisen die Ökobilanz beachten, beim Zuhausebleiben Feinstaub- und Ozonwerte im Auge behalten.
Das neueste Update der VGN-App auf dem Smartphone, aber auch den kompletten Fahrplan des ÖPNV im Hirn haben, weil die App wichtige Verbindungen gar nicht anzeigt.
Aber damit hast du egoistisches Trampel noch lange nicht genug fürs Gemeinwohl getan, und die Politiker werden nicht müde zu betonen, dass gerade in der heutigen Zeit der aktive Bürger gefragt ist. Also gut, das dann auch noch!
Nun haben wir für das „Volksbegehren Artenvielfalt“ abgestimmt und die Bienen gerettet. Weil man ja ehrlich kein Experte sein muss, um zu erkennen, dass es irgendwie ungut wäre, wenn nach den Insekten dann alle anderen Lebewesen draufgehen, die zu doof sind um Photosynthese zu betreiben. Wir haben den Hauptsmoorwald erhalten - eine traumatische Erfahrung, die unseren Oberbürgermeister bis heute regelmäßig schweißgebadet aus dem Schlaf schrecken lässt - und es deutet alles darauf hin, dass wir demnächst gegen die Staatsregierung zu Felde ziehen müssen, um die Rodung des Steigerwaldes zu verhindern. (Da gab es doch mal diese Aktion einer Brauerei, wo man beim Kauf eines Kastens ihrer Industrieplörre einen Quadratmeter Regenwald schützen konnte. Würden die oberfränkischen Bierbrauer einen ähnlichen Deal anbieten, wäre doch der Steigerwald in Nullkommanix ein Naturschutzparadies?)
Vor 100 Jahren wurde in Bamberg die bayerische Demokratie ausgerufen. Wäre es nicht schön, wenn sich unsere gewählten „Volksvertreter“ mal dran erinnern würden, dass sie dafür da sind, sich in Vertretung des Volkes in unserem Sinne um Sachen zu kümmern? Dann hätten wir auch wieder mehr Zeit, uns um unsere Aufgaben als Untertanen zu kümmern: Das Bruttosozialprodukt erwirtschaften, das Konsumklima stabil halten und leise über unseren Rentenbescheid weinen.

 

(März 2019)

Der diskrete Charme des Gaudiwurms
Fasching in Bamberg

Eines gleich vorneweg: Ich bin ein erklärter Faschingsmuffel. Die Vorstellung, das sogenannte „närrische Treiben“ während der sogenannten „5. Jahreszeit“ in einer der sogenannten „Karnevalshochburgen“ am Rhein durchleiden zu müssen, ist mir ein echtes Grauen. Völlig enthemmte „Jecken“ saufen, grölen und molestieren dort durch die Städte, ohne Rücksicht auf Gebäude, Mitmenschen oder irgendwelche Errungenschaften von Kultur und Zivilisation. (Das klingt für viele vielleicht nach einem ganz normalen Montagabend in der Sandstraße, ist aber z.B. in Köln tatsächlich nur in der Zeit vor Aschermittwoch üblich. Und dort wird man wenigstens durch die dämlichen Kostüme vorgewarnt.)
Begleitet wird dieses Bacchanal der Entgrenzung von einem Zwang zur krampfhaften Lustigkeit, die mit Humor in etwa soviel zu tun hat wie eine Episode von „Der Bachelor“ auf RTL mit einem Hochschulabschluss. George Orwell beschreibt in seinem Roman „1984“ das Zimmer 101, in dem jeden Menschen seine persönliche Hölle erwartet. In meinem Fall wäre das ein Fernseher, auf dem rund um die Uhr in Dauerschleife „Mainz, wie es singt und lacht“ läuft.
Umso mehr lernte ich in den vergangenen Jahren die spröde Schönheit des fränkischen Faschings zärtlich zu lieben. Denn der Franke, dem man ja ohnehin nur in Ausnahmefällen so etwas wie Ausgelassenheit unterstellen kann, begeht die tollen Tage in heiterer Heimlichkeit.
Auch wenn invasive Industrie-Festivitäten wie Valentinstag oder Halloween hier bei uns genauso aufdringlich daherkommen wie im Rest der Republik, wird der Fasching in Bamberg immer noch mit einem gewissen humoristischen Understatement, ja geradezu verschämter Diskretion betrieben. Seit man die dazugehörigen Krapfenvariationen im Grunde ganzjährig in den Bäckereien bekommt, bemerkt man kaum eine Veränderung. Da war auch der gescheiterte Vorschlag des Stadtmarketings nur konsequent, den „Gaudiwurm“ unauffällig im Dunkeln stattfinden zu lassen um Kinder und SeniorInnen nicht zu doll zu verschrecken.
Ach ja: Gaudiwurm! Was da klingt wie die unlustige Pointe eines Herrenwitzes aus den 50ern ist tatsächlich eine ernstgemeinte, in Süddeutschland sehr populäre Bezeichnung für einen Faschingsumzug. Überhaupt sind der sprachlichen Kreativität dieser Tage keinerlei Grenzen gesetzt.
„Der Gabelmoo rockt den Ziegelbau über und unter dem Wasser“ lautet das Motto des diesjährigen Rosenmontagsballs - das ist so griffig und eingängig wie die Namen sämtlicher Ochsenknecht-Kinder hintereinander. Und verrät viel über das liebevoll-skeptische Verhältnis der Ureinwohner zu diesem freizügigen Spektakel.
Daher möchte ich dem Bamberger Tourismus Service hiermit folgenden Werbeslogan anbieten: „Fasching in Franken - wo Fröhlichkeit und Lebensfreude sich nicht auf Ihren Alltag auswirken.“
Helau!

 

(Februar 2019)

Axtmörder mit Zimtgeschmack
Mit Freunden auf den Weihnachtsmarkt

Die Vorweihnachtszeit ist ein einziges Minenfeld. Schon tagsüber im Job lauern überall Fallstricke: Darf ich dem türkischen Mitarbeiter schöne Feiertage wünschen? Soll ich der atheistischen Chefin ein Stück Christstollen anbieten? Mit welcher Ausrede drücke ich mich vor dem Schrottwichteln?
Nach Feierabend drohen aber noch weitaus gefährlichere Fettnäpfchen und Gefahren - zumindest wenn man mit Partner und/oder Kindern lebt. Die Alternative für Alleinlebende sind Vereinsamung und Depression. Die schiere Angst vor dem eigenen Zuhause bringt einen schließlich auf die verzweifelte Idee, zwischen Maloche und Heimweg noch einen Zwischenstopp auf dem Weihnachtsmarkt einzulegen
So begibt man sich am Spätnachmittag mit ein paar Kumpels ins akustische Bermudadreieck zwischen Drehorgel, Blaskapelle und Standbeschallung auf dem Maxplatz. - Alle spielen „Last Christmas“ aber in unterschiedlichen Tonarten.
Währenddessen piept alle 30 Sekunden das Handy, weil wieder ein Kollege das gleiche Bild per Whatsapp geschickt hat. (In diesem Jahr ist das die „AfD-Krippe“: ohne Flüchtlinge, Juden, Araber oder Afrikaner. Sprich: Es bleiben nur Ochse und Esel übrig. Fand ich sehr lustig. Die ersten 10 Male.)
Man lässt den Blick über die glitzernden Buden schweifen und fragt sich unwillkürlich, ob es tatsächlich Menschen gibt, die ihren Lieben an Heiligabend buntgeblümte Kittelschürzen unter den Baum legen, und ob das etwas mit der an den Feiertagen traditionell steigenden Anzahl von Gewaltverbrechen zu tun hat.
Die Stimmen der Freunde reißen dich aus diesen Gedanken. Die debattieren nämlich lautstark darüber, an welchem Stand es den besten Glühwein gibt. Eine Diskussion, die übrigens so sinnlos ist, wie mit einem Axtmörder darüber zu streiten, welche Farbe das Beil haben soll, mit dem er einem gleich den Schädel einschlagen wird.
Niemand trinkt doch Glühwein oder Jagertee ernsthaft wegen des Geschmacks! Leute, die so etwas behaupten, gucken auch „Dschungelcamp“ wegen der subtilen Kritik an einer poststrukturalistischen Gesellschaft. Absoluter Quatsch, in beiden Fällen geht es ausschließlich darum, das Hirn abzustellen und eventuell jemand beim Kotzen zuzusehen.
Der Glühweinrausch trifft einen abrupt und brutal, wuchtig wie ein Vorschlaghammer mit Zimtgeschmack, und beendet auf einen Schlag sämtliche Aktivitäten von Klein- und Zwischenhirn. Motorik, Sozialkompetenz und moralisches Empfinden fallen spontan synchron in Winterschlaf, und so kommt es dann, dass man für Mutti wieder eines von diesen Apfelweibla-Backförmchen kauft, weil man sich nicht mehr daran erinnern kann, dass man das schon die letzten 3 Jahre getan hat. Vielleicht ist es aber auch die alkoholbedingte Gleichgültigkeit, in deren watteweiche Umarmung man sich wohlig fallen lässt, bis eim schleißlcih sogaa dass EndE vom deise Komlune n#3,a !FA %)

(Dezember 2018)

Whatsapps aus dem Krieg
Schienenersatzverkehr - ein Erlebnisbericht

Weil die Bahnstrecke Nürnberg-Bamberg mal wieder totalgesperrt ist, warte ich mit ca. 70 anderen verzweifelten VGN-Opfern am von Baustellen völlig zerklüfteten Platz hinter dem Nürnberger Bahnhof auf den Schienenersatzverkehr.
„Krieg“ steht in großen, leuchtend roten Lettern auf dem pechschwarzen Reisebus, der nun anrollt. Ein eher wenig Vertrauen erweckender Name für ein Touristikunternehmen, aber immerhin wird hier nicht versucht, die Lage zu beschönigen.
Wie eine Herde Rinder auf dem Weg zum Schlachthof schieben wir Reisenden uns in den Bus, von dem wir nur hoffen können, dass er auch in die richtige Richtung fährt - da geschieht ein Wunder, von dem nur wenige Ersatzverkehr-Erfahrene berichten können: Es gibt genug Sitzplätze für alle! Selbst die Koffer, die manche leichtsinnigerweise mit sich führen, können verstaut werden. Ja, hinten im Bus sind sogar noch einige freie Plätze! Halleluja!
Doch da drängt in letzter Sekunde eine Gruppe von 8 oder 9 Islamistendarstellern in den Krieg und quetscht sich (und damit auch mich) in die  letzten Reihe. Also, nichts gegen religiöse Folklore, aber die Jungs sehen aus, als hätten sie sich fürs Kindertheater als Fanatiker verkleidet. Läuft irgendwo gerade „Osama Bin Laden - das Musical“? Kaum sitzen sie, zücken alle beinahe gleichzeitig ihre Smartphones und beginnen zu tippen.
Neben ihrer offensichtlichen Vorliebe für wuchernde Bärte und Augenbrauen haben die grimmigen Gesellen noch einen gemeinsamen Fetisch: Handy-Tastentöne. Zumindest hat jeder von ihnen andere, und die tackern nun laut durcheinander. Ich stelle mir vor, dass es so im Sekretariat auf dem Raumschiff Enterprise klingen muss.
Manchmal halten alle abrupt inne, dann sagt einer etwas auf Arabisch und sie lachen dreckig. Vermutlich schreiben sie sich gegenseitig unanständige Witze per Whatsapp.
In Forchheim rauschen die Bärte ab, dafür wanzt sich sofort eine stark überschminkte Mittfünfzigerin an mich heran um auf meine ehemaligen Sitznachbarn zu schimpfen und mich über die Gefahren der Islamisierung zu belehren.
Bis Buttenheim starre ich schweigend aus dem Fenster.
Bei Hirschaid platzt mir der Kragen.
Kurz nach Strullendorf weinen wir beide. Sie, weil ich sie angeblökt habe, dass niemanden ihr Rassistengejammer interessiert und sie außerdem, sollte ihr billiger Pelzkragen echt sein, vor mir mehr Angst haben sollte als vor irgendwelchen anderen Kulturen. Ich, weil mir einfällt, dass 2022 der Bamberger Bahnausbau beginnen soll. Und das bedeutet für mindestens 8 Jahre Schienenersatzverkehr.

 

(November 2018)

Ihr seid schuld!
Ziemlich humorlose Kolumne über Nichtwähler

Wenn einem an jeder Straße neben inhaltslosen Parolen geschniegelte Hackfressen von Plakaten entgegengrienen, weiß man: Die Landtagswahl steht bevor. Und auch wenn im letzten Jahr die Wahlbeteiligung bei uns über dem Bundesdurchschnitt lag, waren es doch 20% der Bamberger, die den Weg zur Urne nicht gefunden haben.
Wie gerne würde ich diese Nichtwähler anschreien: Wie kann man nur! Ihr seid schuld, wenn alles den Bach runtergeht! Das würde sich sicher gut anfühlen. Werde ich aber nicht tun.
Stattdessen erkläre ich es ganz freundlich: Wer sein Wahlrecht nicht nutzt, verwirkt damit im Grunde auch jegliches Recht, sich später darüber aufzuregen, wenn „die da oben“ wieder irgendwelchen hanebüchenen Schwachsinn verzapfen. Und - Hailichäsnaa! - was ist in den letzten Wochen von diversesten PolitikerInnen für ein hanebüchener Schwachsinn verzapft worden!
Nein, ich werde hier keine Namen nennen, und Ihnen bestimmt nicht reinreden, wen Sie wählen sollen. Sicher ist aber: Diejenigen, die in den letzten Monaten - auch gegen massive Proteste - immer wieder behauptet haben, für „das Volk“ zu sprechen, werden ihre Anhängerschaft bestimmt mobilisieren. Die gehen wählen! Und wenn Sie nicht deren Meinung sind, aber finden, dass Sie auch „das Volk“ sind, dann müssen Sie am 14. Oktober eben selbst den Hintern vom Sofa und ins Wahllokal schwingen. Sonst müssen wir alle das Kreuz tragen, dass Sie nicht gemacht haben.
Ausrede Nr. 1 lautet nun: Aber wen denn? Die Politiker sind doch alle gleich ... (Setzen Sie hier einen Kraftausdruck Ihrer Wahl ein.)
Da haben Sie natürlich vollkommen recht. Aber ich erinnere mich, wie ich als Kind zum allerersten Mal mit meiner Mutter über das Thema sprach. Sie erklärte mir das ganze Prozedere geduldig, und meine erste Frage war: Was ist, wenn man keine Partei gut findet? Ihre so lapidare wie eindrucksvolle Antwort war: „Dann muss man eben das kleinere Übel wählen. So wie die meisten.“ Ich wollte, sie hätte dazugesagt, dass Gleiches auch für die Partnersuche oder Essensbestellungen an Autobahnraststätten gilt, aber das gehört nicht hierher.
Wenn Sie also keine Partei wirklich haben wollen, müssen Sie nur wissen, welche Sie am wenigsten nicht wollen, und die wählen Sie dann. Gar nicht so schwer. Und ob Sie dann am Abend die Hochrechnungen verfolgen wollen oder nicht - wenn Sie später den Kopf auf Ihr Kissen legen, können Sie das in der beruhigenden Gewissheit tun, dass Sie diesmal nicht schuld sind. Also zumindest nicht daran.

(Oktober 2018)

30 Tage Katerstimmung
September-Blues

„Wenn die Sandkerwa kommt, ist der Sommer vorbei,“ weiß der Bamberger Volksmund, und der muss es ja wissen. Schließlich kam auch in diesem Jahr die Kaltfront pünktlich zum Anstich vorbei. Und altgediente Ausschank-Veteranen übertrumpfen sich beim nächtlichen Feierabendseidla mit furchterregend frostigen Fronterzählungen von vergangenen Sandkerwas, bei denen man nur in Skiunterwäsche überleben konnte und sich doch so manchen Zeh abgefroren hat.
Trotzdem lügt der Volksmund sich mit seiner niedlichen kleinen Jahreszeit-Analogie euphemistisch in die Tasche. Denn in Wahrheit ist nämlich nach der Kerwa in Bamberg nicht nur der Sommer vorbei. Eigentlich ist alles vorbei.
Nachdem uns diese Stadt den gesamten Juli und August hindurch geradezu schwindlig eventet hat, verfällt sie mit dem letzten Böllerknall beim Feuerwerk am Kerwasmontag schlagartig in einen tiefen Dornröschenschlaf und lässt ihre verkaterten Einwohner demoralisiert und ausgelaugt zurück. Die Folgen sind Lethargie, Stumpfsinn und Depression.
Die meisten gastronomischen Einrichtungen von Belang (zumindest für Menschen jenseits der 25) machen Betriebsurlaub. Sämtliche großen und kleinen Bühnen verweigern sich ihrem kulturellen Unterhaltungsauftrag. Auch im Bambados hält man den Innenbereich geschlossen und klebt die Fliesen wieder fest.
Was bleibt noch zu tun? Sich auf eine Bank vor einen der Supermärkte setzen und protokollieren, wann dort die ersten Lebkuchen angeliefert werden?
Zwangsläufig kommt man ins Grübeln und versucht, sich an die schönen und aufregenden Ereignisse des Sommers zu erinnern. Aber irgendwie ist das Einzige, das einem ins Gedächtnis kommt, der nackte Spanier, der deutschlandweit Schlagzeilen machte und „nur mit einer Gitarre bekleidet“ (Originalzitat FT) erst in der Sandstraße „Freude und Liebe“ verbreiten wollte, dann aber auf dem Maxplatz mit „mitgebrachtem“ (!) Kot um sich warf, und man ertappt sich unwillkürlich bei der Frage, wann es wohl bei einem selbst soweit ist - die ersten Anzeichen aggressiven Irrsinns hat man ja schon lange an sich festgestellt - und ob man dann wenigstens noch ausreichend Taktgefühl hat, das wenigstens einigermaßen geschmackvoll gekleidet zu tun ...
Seufzend wischt man sich den Angstschweiß von der Stirn und hofft darauf, dass mit dem Schulanfang langsam aber stetig ein Etablissement nach dem anderen wieder öffnet, bis zum Ende des Septembers der Alltag wieder einkehrt und man wieder glauben kann, dass es auch im Herbst noch ein Leben gibt.

 

(September 2018)

Ich bin die Blunzn
Die Macht der Gewohnheit

Aber was ...? Ist das denn ...? Hier war doch immer dieses ... wie hieß das noch? „Mäcs Monatsbeschwerden“ oder so ...
Schnell ein paar Seiten zurückgeblättert - Gottseidank, wenigstens der Marc Buchner ist noch da, wo er hingehört.
Aber das hier? Da stimmt doch was nicht, das ist doch nicht so wie das soll, das ist doch nicht wie immer?
Sollten Sie sich angesichts dieser überraschenden Veränderung jetzt irritiert oder unwohl fühlen, denken Sie sich nichts dabei, das ist ganz normal. Aber mit der Zeit geht das vorbei, versprochen.
Man mag den Bambergern vielleicht nicht unbedingt nachsagen, sie wären Neuem gegenüber immer gleich übermäßig aufgeschlossen, aber: sie gewöhnen sich an alles!
Wie lautstark war beispielsweise anfangs die Empörung über die Pfundigkeit der Botero-Blunzn, der versehrte Lüpertz-Apoll musste in den Tagen nach seiner Enthüllung sogar mit Bodyguards vor dem fränkischen Furor beschützt werden. Mittlerweile gehören die beiden einfach zum Stadtbild dazu, und hinter vorgehaltener Hand gesteht sogar mancher Ureinwohner errötend, dass er sie eigentlich ganz hübsch findet.
Selbst architektonische Furunkel auf dem ach so anmutigen Antlitz des Welterbes - wie beispielsweise die gnadenlos hingedonnerte Glastür am Dominikanerbau - entlocken einem nach Jahren des Vorbeiflanierens nicht mal mehr ein Stirnrunzeln.
Wir haben uns an die Spaßbadruine mit dem dämlichsten Namen der Welt gewöhnt und daran, dass wir während der Basketball-Playoffs als „Freak City“ bezeichnet werden, obwohl jedem Bamberger insgeheim klar ist, dass diese Stadt so freaky ist wie Fencheltee.
Wir haben uns an‘s Public Viewing und die diversen anderen Veranstaltungen des Stadtmarketings auf dem Maxplatz gewöhnt; bloß an das zugehörige Tucher-Bier, da wollen wir uns nicht so richtig gewöhnen. Irgendwo hört die fränkische Duldsamkeit doch auf.
Ja gut, und dann die Touristen, an die werden wir uns wohl auch nie so ganz gewöhnen. Aber dafür ist uns das Schimpfen auf die Touristen mittlerweile eine so liebe Gewohnheit geworden, dass wir sie nicht mehr missen möchten. Worüber soll man sich denn sonst unterhalten, wenn man vor dem Schlenkerla rumsteht?
Heuer soll ja auch wieder eine Sandkerwa stattfinden, mal schauen, wie die wird. Irgendwie hatte man sich schon fast dran gewöhnt, dass es keine mehr gibt.
Tja, und jetzt schreibt halt irgendsoein Neigschlaafder die Kolumne vom Mäc Härder. Das können Sie nun gut finden oder weniger gut - aber Sie werden sich schon dran gewöhnen.

 

(August 2018)

(c) für alle Texte Arnd Rühlmann